Geduld ist eine Tugend, wie wir alle wissen. An der Börse eine bekanntlich sehr wertvolle Eigenschaft. Der gute, alte Kostolany hat unzählige Male drauf hingewiesen und Geduld als die wichtigste Eigenschaft in den Vordergrund gestellt. Wer sie nicht habe, dürfe sich nicht einmal in die Nähe der Börse begeben.
Wer aber heute noch 2021-Überfliegeraktien wie $SHOP, $APPS, $NVDA, $SQ, $SNAP (nur um einige zu nennen..) in seinem Depot hält, die 80, teils 90% (!!) an Wert verloren haben, wird mir zurecht beim Hinweis auf Geduld den Vogel zeigen. Manch einer vielleicht eher den Stinkefinger.
Trotzdem lohnt es sich mit Kostolanys Hinweis “Geduld” etwas genauer auseinander zu setzen, denn natürlich hatte Kotolany im Grundsatz Recht.
Ich finde, der bisherige Bärenmarkt 2022 hat deutlich gemacht, was Kostolany meinte. Es gibt einfach “Marktfenster“, an denen du mit von der Partie sein musst und es gibt Marktfenster an denen du Schutz suchen musst. Im ersteren wartest du geduldig mit offenen Positionen bis die Gewinnziele erreicht sind, im zweiten wartest du geduldig auf das nächste Marktfenster und hältst dich raus. Wenn es heißt, das Geld mache man mit dem Hintern, nicht mit dem Kopf, meint es genau das.
Was 2022 so besonders schwierig gemacht hat bisher, wie ich finde, ist, dass es von diesen guten Marktfenstern nur zwei gegeben hat. Eigentlich nur 1,5. Ansonsten war es ein rückblickend klar erkennbarer, langsamer und kontinuierlicher Weg bergab. Doch trotz allem, haben sich darin auch in den Abwärtsphasen immer wieder mal ganz gute Möglichkeiten für einzelne Aktien ergeben. Ich finde, genau da liegt das Problem und die Herausforderung.
Unten im Chart die beiden Trendphasen: Nr. 1 zwischen dem 16.3. und dem 30.3, genau 10 Handelstage mit +6% beim S&P500, sowie die kleine 10% Sommer-Rallye zwischen Juli und Mitte August. Die Phase Anfang Juni könnte man streng genommen auch dazu zählen, sie ist es eigentlich nicht wert erwähnt zu werden.
Richtig wäre es gewesen nur in diesen (grünen) Phasen aktiv zu sein und bei Ende dieser Phasen sofort seine Sachen zu packen und das Depot auf Cash zu stellen. Simple as that!
Doch wie oben beschrieben, haben einige wenige Aktien trotz roter Gesamtmarkt-Phasen gute Läufe gehabt, die mit bewährten Methoden recht simpel zu identifizieren waren. Diese Chancen wollte ich wahrnehmen. Natürlich wollte ich sie wahrnehmen. Heute, rückblickend frage ich aber selbst verwundert “Warum eigentlich?”
In dem Zusammenhang fällt mir ein super Cartoon von Oli Hilbring ein (Kauft seine Bücher! Jedes einzelne!)
Bildquelle: instagram.com/oliscartoons. Das Buch dazu: “Fiese Bilder 6”, Lappan Verlag.
Dieses Cartoon ist hilfreich bei der Entscheidungsfindung und der Bewertung der Situation. Wenn in einem schlechten Markt eine Aktie grad ein Signal liefert, ist es vielleicht gerade diese “get your kicks with Ruth 66” Situation und – NEIN!- das will wirklich niemand. Pfui Deibel!
Mark Minvervini hat in einem seiner Bücher einen anderen, ganz guten Vergleich gezogen:
When you play poker, it costs money to see your cards from the deal; you must pay an ante, or post binds, as well as you pay the house “time” to participate in the game. Now imagine you could see every poker hand for free and place your bets only when the cards were stacked in your favour. How could you lose over time? One of the great things about the stock market is that all comers compete in the same ring: skilled and unskilled, professionals and amateurs. This is one of the reasons the market is not purely random.
In the stock market, you have the luxury of being able to stay on the sidelines, free of charge, observing and waiting for the most opportune moment to wager. You get to see the market’s “cards” before you bet, free of charge. This is a wonderful advantage, yet few exploit it.
You don’t have to involve yourself in every market movement. In fact, you should not attempt to. Be an exacting opportunist. Be selective and pick your entry spots very carefully. Wait until the probabilities are stacked in your favour before you act. With patience and discipline, you can profit from market opponents who are less disciplined and less capable than you are.
Letzlich ist genau das mein bisheriges Fazit aus diesem Bärenmarkt. Man muss auf Basis einer objektiven Bewertungsmethodik erkennen können, wann es an der Zeit ist sich rauszuhalten und wann es richtig ist wieder einzusteigen. Man muss vor allem auch verstehen und verinnerlichen, dass der Ausstieg aus den Märkten ein Akt der Stärke und nicht der Schwäche ist und dass man damit gegenüber anderen Marktteilnehmern einen Vorteil erlangt.
Die Zeit zwischen zwei guten Marktphasen nennt sich Geduld (auch wenn Kostolany damit eigentlich das Kaufen und Liegen lassen in jungen Bullenmärkten meinte). Neben der Geduld ist die Disziplin gefragt sich nicht in schlechten Märkten durch Aktiensetups verführen zu lassen. Denn in diesen schlechten Märkten handelt es sich um die Ruth-66 Situationen, die niemand eingehen will.
Gutes Gelingen weiterhin!